Gabi Jürgens hielt im Heimathaus einen interessanten Vortrag zu dem aktuellen Thema
Ein brandaktuelles Thema war der Vortragsinhalt beim November-Stammtisch des Heimatvereins Mengede. Es ging um die Problematik der „Demenz“, eine Thematik, mit der jeder von uns in seinem Leben irgendwann konfrontiert wird oder schon konfrontiert worden ist. Sei es als Betroffener, sei es als Angehöriger oder Bekannter einer an Demenz erkrankten Person. Den Vortrag hielt Gabi Jürgens als hochkarätige Referentin. Sie ist Pflegedienstleiterin im Seniorenheim am Mengeder Burgring, hat in ihrer täglichen Arbeit mit Demenzkranken zu tun und musste als Tochter mit der Demenz ihrer Mutter fertig werden.
In dem gut strukturierten Vortrag ging es um drei Fragenschwerpunkte: Was ist Demenz? Wie kann ich damit umgehen? Wo bekomme ich Hilfe? Die Zuhörer*innen erfuhren zunächst, dass es unterschiedliche Arten und Ursachen von Demenz gibt. Da sind u.a. die Vaskuläre Demenz, die Parkinson Demenz, die Fronto-Temporale Demenz und die am häufigsten vertreten Alzheimer Demenz, die 60% der Erkrankungen ausmacht. Besonders schmal ist der Grat zwischen Demenz und Depression, wobei beide sowohl Folge als auch Ursache sein können. Ein Mensch, der in der frühen Phase seine Veränderungen feststellt, kann z.B. in Depression fallen, was wiederum die Demenz verschlimmern kann. Mit anschaulichen Darstellungen wie die eines Baumes, dessen Blätter sich verfärben, vertrocknen und dann abfallen, verdeutlichte die Referentin den Prozess der Veränderungen beim erkrankten Menschen. Am Anfang stehen Kommunikationsprobleme für den Betroffenen, bohrende Frage wie: Wer bin ich? Wie alt bin ich? Habe ich Kinder, einen Ehepartner? Wie ist mein Name? Wo wohne ich? Alles, was die Persönlichkeit ausmacht, was der Mensch an Normen und Regeln gelernt hat, geht sukzessive oder parallel verloren: Verhaltensweisen, angeborene und erlernte Fähigkeiten, Erinnerungen, Wissen, Erfahrungen, Hobbys, die emotionale Bindung an Freunde und Familie. Folge ist ein Zerbrechen der gesamten Identität.
Daraus resultieren unterschiedliche Verhaltensweisen, die Erkrankten werden aggressiv, es gibt Konflikte mit der Umwelt, Verwandte, Freunde werden nicht mehr erkannt, soziale Kontakte vermieden und ein Gefühl von Wertlosigkeit macht sich breit. Das Sprachvermögen bildet sich zurück, kann ganz verschwinden, Bewegungsstörungen stellen sich ein, Geschehnisse werden nicht mehr erfasst oder werden falsch gedeutet. Sinne wie der Geschmackssinn verkümmern und Reflexe werden nicht mehr ausgeführt. Am Ende bleiben nur der leere Körper und die Stille. Für die Angehörigen ist es schwer, mit den Veränderungen umzugehen und mit ihnen fertig zu werden. Aus ihrer Hilflosigkeit ergeben sich oft falsche Verhaltensweisen: die Erkrankten werden verbessert, belehrt mit Floskeln wie „das weist du doch“, „das hast du doch früher nicht gemacht“, man schreibt ihnen Termine auf und diese werden trotzdem vergessen, man streitet sich mit ihnen und will sie in die Realität zurückholen.
Die an Demenz Erkrankten haben aber ihre eigene Realität entwickelt, leben in ihrer eigenen Welt. Das muss man hinnehmen und sie darin lassen. Wenn die Erkrankte nach vielen Jahre Ehe behauptet, sie sei nie verheiratet gewesen, dann war sie es eben nicht. „Wenn festgestellt wird, es regnet, soll man es regnen lassen, selbst wenn der Himmel strahlend blau ist“, so die Referentin. Die absurdesten Äußerungen und Gedanken soll man ernst nehmen, die Erkrankten soll man ausreden lassen, Artikulierungsprobleme ignorieren, nie die Frage „Warum“ stellen, einfache Sätze bilden und Entscheidungsfragen vermeiden. Auf die Körpersprache muss man achten. Hand halten, ein Streicheln oder ein Lied spielen oder gemeinsam singen können Wunder bewirken und Aggressionen abbauen bzw. vermeiden. Da sich auch der Geschmackssinn verändert und am Schluss nur noch Süßes erkannt wird, müssen auch die veränderten Essgewohnheiten akzeptiert werden. Ein Wurst- oder Käsebrot schmeckt dann eben am besten mit Marmelade. Schokoladenstreusel oder Zucker müssen dann eben anstelle von Maggi oder Essig die Linsensuppe würzen.
Da die Demenzerkrankung einer nahestehenden Person für die pflegenden Angehörigen eine immense Belastung darstellt, ist es für sie wichtig, dass sie die gebotenen Hilfen in Anspruch nehmen. Wichtig ist, dass für den Erkrankten ein Pflegegrad beantragt wird, den der Medizinische Dienst (MDK) feststellt. An diesen Pflegegrad sind weitere Hilfen wie z.B. Pflegegeld gebunden. Mit dem Pflegegeld können dann weitere Leistungen wie die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes bezahlt werden. Da die Angehörigen vielfach an ihre Grenzen stoßen, müssen sie unbedingt auch an sich denken. Viele Pflegeeinrichtungen bieten eine Tagespflege an, die die Pflegebedürftigen tageweise oder an mehreren Tagen in der Woche aufsuchen können, bei einem Urlaub kann die Kurzzeitpflege für einen befristeten Zeitpunkt einspringen, Verhinderungspflege wird bezahlt. Für eine dauerhafte Unterbringung im Pflegeheim oder in einer Demenz-WG soll man sich entscheiden, bevor man mit den eigenen Kräften ganz am Ende ist und dabei zugrunde geht.
Gespannt verfolgten die Gäste im Heimathaus den von Gabi Jürgens mit großen Fachkenntnissen, viel persönlichem Engagement und auch Sendungsbewusstsein gebotenen Vortrag, bei dem sie es schaffte, die schwierige Problematik einem Laienpublikum verständlich zu machen. Zum Schluss beantwortete sie noch Fragen aus dem Publikum wie die, wie man eine drohende oder bereits fortgeschrittene Demenzerkrankung bei sich selbst feststellen kann. Da gibt es Selbsttests wie den Uhrentest oder auch Untersuchungen beim Neurologen. Doch eine schmerzhafte Erkenntnis blieb den Zuhörern und Zuhörerinnen: Während der Baum, der alle Blätter verloren hat, im nächsten Frühjahr wieder neu ausschlägt, gibt es bei der Demenz, egal um welche Form es sich handelt, keine Heilung in dem immer weiter fortschreitenden Prozess.
Diethelm Textoris