Nr. 65

Weihnachten 2023

22. Jahrgang


Frohe Weihnachten und guten Ruts
ch

Liebe Heimatfreundinnen, 
liebe Heimatfreunde,

Weihnachtskrippe der Ausstellung 2013

… und wieder geht ein ereignisreiches Jahr zu Ende, ein Jahr, in dem uns die Pandemie doch ziemlich in Ruhe gelassen hat und wir dennoch aktuell merken: Corona ist noch nicht vorbei!

Umso mehr dürfen wir mit Stolz auf ein sehr gelungenes Jahr 2023 für unseren Heimatverein Mengede blicken, wobei die vielen und sehr unterschiedlichen Veran­staltungen uns allen nicht nur viel Freude gemacht, sondern auch einen großen Teil dazu beigetragen haben, Menschen in unserem Stadtbezirk zusammenzubringen und das so wichtige „Wir-Gefühl“ untereinander zu stärken.

Bei der Lektüre dieses Blättkens fällt auf, dass es doch immer wieder neue Aspekte und Geschichten gibt, über die es sich lohnt, zu berichten und zu schreiben.

Die Freude am Lesen möchten wir auch in diesem Jahr verbinden mit den besten Wünschen und Grüßen an unsere Mitglieder und Freunde sowie an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger im Stadtbezirk Mengede. Ihnen allen wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches, hoffentlich gesundes und friedliches Neues Jahr!

Mengede, im Dezember 2023

Der Vorstand

H.-U. Peuser – J. Karlshaus – P. Jürgens – J. Küster – W. Hellmich

Besuchen Sie bitte unseren Adventsmarkt, Sie sind herzlich eingeladen!

Die „Sechs Drögen“
Erfolgreiches Mengeder Sextett

Wer will der kann“ hieß eine große Unterhaltungsserie Mitte der 50-er Jahre von und mit Peter Frankenfeld. Eine Talentschmiede für die Fernsehunterhaltung und die „Sechs Drögen“ aus Mengede waren dabei, als am 3. September 1955 eine weitere Folge ausgestrahlt wurde. Fans und Bürger aus Mengede und Umgebung saßen gespannt vor dem Bildschirm. Nicht durch ein „Casting“, sondern durch eine Auswahl-Jury wurde nach den Probeauftritten entschieden, wer die glücklichen 12 waren, die mit Frankenfeld die Sendung bestreiten durften. Zwei Titel waren für die Aufführung geplant, aber die knapp bemessene Sendezeit ließ nur das „Spatzenlied“ zu, und der durch ein Phonometer gemessene Applaus brachte unseren Sängern den vierten Platz ein.

Am 3. September 1955 stand das Sextett in Düsseldorf mit Peter Frankenfeld vor der Fernsehkamera. Foto: Privat

Die offizielle Gründung des Sextetts erfolgte 1952. Initiator war der legendäre Dr. Adolf Hermann, seiner Zeit Messe-Journalist und Dirigent verschiedener Chöre im Dortmunder Raum, der zur Bildung eines Quartetts animierte und zunächst die Probenarbeit forcierte. Die Besetzungsfragen wurden schnell gelöst und 1953 stand die endgültige Auswahl der Sänger fest: Die Tenöre Wolfgang Eckey (24), Gerd Kontny (24) und Friedhelm Bredemeier (23), dazu die Bässe Gerhard Dröge (26), Horst Strauß (21) und Wilhelm Fox (31) bildeten das stimmlich optimal besetzte „Mengeder Sextett“, dessen Begleitung und Einstudierung Paul Keck übernahm.

Foto der Grußkarte der 6 Drögen

Waren es zunächst viele lokale Veranstaltungen, zu denen die Sänger mit klassischer Chormusik und aktuellen Schlagern aufwarteten, führten u. a. Karnevalssitzungen zu neuen Aufgaben. Dazu gehörte ein passender Name. Die „Trockenen“ gab es noch nicht und da die trockenen Westfalen „dröge“ sind, waren die „sechs Drögen“ geboren.

Der Bekanntheitsgrad wuchs. Kein Wunder, dass Verpflichtungen durch Konzert-Agenturen, namhafte Firmen, Vereine und Verbände das Sextett durch das Ruhrgebiet ins Münsterland, ins Sauerland, ins Bergische Land und sogar in karnevalistische Hochburgen im Rheinland führten. Die Gruppe hatte 1965 den Ausfall von Gerhard Dröge zu beklagen, blieb mit dem „Mann am Klavier“ aber immer noch ein „Sextett“.

Innerhalb der ersten 20 Jahre wurden jährlich bis zu 50 Auftritte absolviert. Erstaunlich, denn allesamt waren die Sänger berufstätig. Von seriös bis humoristisch beeindruckten sie bei all ihren Vorstellungen mit stimmlicher Perfektion. Glanzstücke setzte das Sextett mit dem russischen Hit „Das einsame Glöckchen“, in dem Wolfgang Eckey mit lyrisch-hellem Tenor das einschmeichelnde Solo sang und Wilhelm Fox mit „schwarzem“ Bass den „Don Kosaken-Sound“ fundamental aufleuchten ließ, wie auch mit rasantem Boogie Woogie oder aufkommenden Twist-Rhythmen. Ab 1958 wurden rote Smokings zum Markenzeichen, Heinz Michners übernahm als Akkordeonist oder Pianist die Begleitung und durch einen Bass wurde der Stil dem Zeitgeschmack angepasst.

Gerd Kontny in der Rolle des Angeklagten

Mit dem musikalischen Sketch „Eine fidele Gerichtssitzung“ wurde bei den Auftritten ein Beitrag unverzichtbar.     In dieser „Kurzoper“ übertrafen sich Gerd Kontny als Angeklagter, Wolfgang Eckey als Richter und Horst Strauß als Gerichtsdiener mit umwerfendem Gesang und Spiel über Jahrzehnte. Teile dieses Sketches zeigte die „Aktuelle Stunde“ des WDR am 21. Januar 1983. Zwischendurch war natürlich auch das Thema „Schallplatte“ akut. „Wochenend und Sonnenschein“ und „Ole o Cangaceiro“ war 1957 die erste Single. Später folgten im Mondano-Tonstudio einer der ersten BVB-Märsche und ein „Gruß aus Dortmund“, in denen Horst Strauß den „Leader“ Part übernommen hatte. Zusätzlich gab es Background Produktionen für Stars und Sternchen. In Anlehnung an den Namen des Studios änderte man auch den Namen und trat als „Mondeno-Harmonist’s“ auf. Paul Keck hatte inzwischen wieder die Begleitung übernommen.

Gerd Kontny mit den Schallplatten „Der neue Borussia Marsch“ und „Sonja Sonja“. Foto Luthe

Bis zum Ende der Auftrittsmöglichkeiten mit dem Tod von Wilhelm Fox im Jahre 1992 nach genau 40 Jahren trat das Sextett ausnahmslos in gleicher Besetzung auf, einmalig für Gesang-Ensembles dieser Art. So ging die Ära des stets gern gehörten Gesang-Sextetts „Die sechs Drögen“ ruhmreich zu Ende.

Peter Kaufhold

Serie Kioskgeschichten aus Mengede und Umgebung (3)

Trinkhalle von Onkel Kuckuck an der Zeche Adolf-von-Hansemann“

In früheren Zeiten wurde auf den Zechen der Lohn noch in bar ausgezahlt. Fein säuberlich abgepackt in den sogenannten Lohntüten. Zweimal im Monat gab es den „Abschlag“ und am Monatsende dann den „Restlohn“. Sehr schnell siedelten sich in der Nähe der Zechentore Kneipen und Trinkhallen an, die darauf hofften, dass die Bergleute gleich nach der Auszahlung einen Teil ihres Lohns wieder „auf den Kopf hauten“, wie man damals sagte. Von diesen Verlockungen wussten auch die Ehefrauen der Bergleute. Damit ihre Männer nicht in Versuchung kamen, holten viele von ihnen sie an den Zahltagen am Zechentor ab. Manchmal mussten auch die Kinder diese Aufgabe übernehmen, was aber nicht immer ganz so erfolgreich war, weil die Kinder einfach mitgenommen und mit einer Limonade ruhiggestellt wurden. 

Ein Foto aus alter Zeit mit der Gaststätte „Königshalt“ und ganz rechts unten, die Rückseite des Kiosks „Onkel Kuckuck“

Die verstorbene Frau Ursula Keinhörster erinnerte sich bei einem früheren Besuch im Museum „Kleinzeche Max Rehfeld“ an die Lebensbedingungen in ihrer Kindheit und in der Zeche „Adolf von Hansemann“. Diese hielt sie schriftlich fest. Dabei ging sie auch auf die dortige Trinkhalle ein: 

„Ein wichtiger Anziehungspunkt vor dem Zechentor war die Bude von Onkel Kuckuck. Da kauften die Bergleute ihren Priem, Kautabak, der ihnen in der Grube das Rauchen ersetzte. Das war wegen der Feuer- und Explosionsgefahr absolut ausge-schlossen. Auch Schnupftabak war ein solches Ersatzmittel.

Zigaretten gab es in Dreier- und Sechserpackungen „Eckstein“ und „Overstolz“. 3 Stück 10 Pf. An Leute mit ganz großem Lungenschmacht „aber Ebbe“ im Portemonnaie gab Onkel Kuckuck sie auch einzeln ab. Schnaps in Flachmännern konnte man diskret in der Kleidung verstauen.

Uns Kindern lockten die Gläser mit den bunten Bonbons. Geschenke oder durch kleine Dienstleistungen ergatterte 2 oder 5 Pf haben wir schnurstracks umgesetzt in Klümpchen „wo es viele von gibt“. Mir persönlich hatte es die Schokolade angetan. Für 5 Pf bekam ich einen von der Stange abgebrochenen Riegel. Schokolade war ein Luxus für besondere Anlässe. Opa spendierte stets eine Tafel für die ganze Familie, wenn er am Monatsanfang in Essen bei der Hauptverwaltung seinen Bericht abgegeben und sein Gehalt in bar in Empfang genommen hatte. Zu Weihnachten bekam jeder eine ganze Tafel. 

Und zum Geburtstag meiner Freundin kaufte ich immer eine 100 g Tafel „Mauxion“ für 45 Pf.“

Die genannten Zigarettenmarken Eckstein und Overstolz gehörten wegen ihres kräftigen Geschmacks zu den beliebtesten bei den Bergleuten. Filterzigaretten gab es anfangs noch nicht, später führten sie ein Nischendasein.

Richtig populär wurden sie erst mit dem „Duft der großen weiten Welt“ von Peter Stuyvesant. Die Marke Overstolz vom Haus Neuerburg in Köln bekam durch den Stahlnetz- Schauspieler Heinz Engel-mann ihr Werbegesicht. Während heute auf jeder Zigaretten-Packung Schockbilder und Warnhinweise stehen, waren früher die Packungen selbst Werbeträger.

So konnte man auf den Eckstein-Packungen lesen: „Echt und recht“ und auch Produktcharakteristik des Herstellers: „Feiner Tabak. Durch und durch würzig. Ohne Filter ein ehrlicher Genuß.“ Die Schokoladenmarke Mauxion ist eine seit 1855 bestehende Handelsmarke für Schokoladenprodukte, die in der Nachkriegszeit zu den Premiummarken zählte. Heute liegen die Markenrechte bei der Krüger Gruppe in Bergisch Gladbach.

Weitere Angebote der Buden zur damaligen Zeit, die Frau Keinhörster nicht erwähnt, waren eingelegte Gurken, Rollmöpse und Soleier, die in großen Gläsern auf der Theke standen. Ein beliebtes Getränk war das „Knickerwasser“, u.a. vertrieben von Josef Festtag in Bodelschwingh. Das waren Limonaden und Brausen, deren Flaschen mit einer Kugel, einem „Knicker“, verschlossen wurden. 

Diethelm Textoris 

Unsere Kinos im Stadtbezirk (1)

Film ab …

1911: Eröffnung des ersten Theaters mit Film und Tanz 

1911 eröffnete in Mengede das erste „Kinematographen-Theater“, wie die heutigen Kinos in den Anfängen hießen. Seitdem haben sie Generationen Unterhaltung geboten, aber auch die geistige und kulturelle Entwicklung vieler Menschen mitgeprägt. Sie waren neben Trinkhallen, Schrebergärten, Tanzlokalen und Fußballplätzen lange Zeit ein fester Bestandteil der Alltagskultur. 

Central-Theater

Lichtspielbühne am Mengeder Bahnhof

1911 eröffnete in Mengede das erste „Kinematographen-Theater“, wie die heutigen Kinos in den Anfängen hießen. Seitdem haben sie Generationen Unterhaltung geboten, aber auch die geistige und kulturelle Entwicklung vieler Menschen mitgeprägt. Sie waren neben Trinkhallen, Schrebergärten, Tanzlokalen und Fußballplätzen lange Zeit ein fester Bestandteil der Alltagskultur.

Hunderte von Kinos standen in den 1950er-Jahren in den Städten an Rhein und Ruhr. Allein in unserem Stadtbezirk boten sieben Kinos mit insgesamt über 3.100 Sitzplätzen aktuelle Nachrichten und Spielfilme an. Kennen Sie die Namen noch? Wenn nicht, wir widmen diesen Kinos spätere Beiträge in unserem Heimatblatt.

Das neue Unterhaltungsangebot hatte auch seine Schattenseiten. Bürgerliche Kreise standen dem Kino äußerst kritisch gegenüber. Die verdunkelten Kinosäle und die angeblich gesundheitsschädigenden Folgen der flimmernden Bilder waren vor allem Jugendschützern ein Dorn im Auge.

Dazu kamen Unruhen, die maßgeblich mit besonderen Filmen im Zusammenhang standen. Die vorherrschend konservativen Einstellungen der Gesellschaft waren nicht schuldlos an diesen Unruhen Mitte der fünfziger Jahre. Die heiße Musik des Films „Rock around the clock“ war Jugendlichen im Capitol so ins Blut gegangen, dass sie sich wie besessen aufführten.

Nach Filmende stürmten etwa 4 000 Jugendliche hinaus, und fühlten sich in diesem Augenblick als Herren der Straße. Steine flogen, Schaufenster gingen zu Bruch, sie demolierten Autos und prügelten sich mit der Polizei.

Die sogenannte „Halbstarken-Welle“ in Deutschland hatte auch Dortmund erreicht.

Aus heutiger Sicht werden die Krawalle der jungen Leute als Protest, der keinesfalls politisch organisiert war, gegen die strenge und trostlos empfundene Gesellschaft angesehen und die damalige Bezeichnung der Gruppen als „Halbstarke“ ist kaum noch im Sprachgebrauch zu finden.

Wenige Jahre später waren es die technischen Entwicklungen, die dem Kino wirtschaftlich schadeten. Der Siegeszug des Fernsehens, das Aufkommen der VHS-Kassetten und später von DVD und Beamer, und zuletzt Streamingdienste wie Netflix, Amazon, YouTube, & Co sorgten für ein zunehmendes Sterben der Lichtspielhäuser. Das Kino hat trotzdem bis heute seine Faszination bewahrt.

Bei uns aber, vor der „sogenannten“ Haustür flimmern keine Streifen mehr über die Leinwand. Das „Kinematographen-Theater“, die spätere „Lichtburg“ am Bahnhof, das erste der Mengeder Kinos schloss als das letzte Kino im Stadtbezirk seine Pforten. Nach 77 Jahren gingen 1988 im Lichtspielhaus am Bahnhof die Lichter aus, und heute müssen wir Mengeder für dieses Freizeitvergnügen schon raus in die Stadt.

Franz-Heinrich Veuhoff

Herzlichen Glückwunsch!
Gerhard Schönfisch feierte im Oktober seinen 101. Geburtstag

„Ich werde 100 Jahre alt“ sang einst Johannes Heesters. Er starb schließlich im gesegneten Alter von 108 Jahren. Ob Gerhard Schönfisch aus Mengede sich Ähnliches wie der legendäre Schauspieler und Sänger vorgenommen hat, ist nicht bekannt. Am 21. Oktober wurde er 101 Jahre alt, oder, wie er den zahlreichen Gratulanten gegenüber immer wieder betonte: „100 Jahre und 12Monate.“

Bereits im Laufe des Vormittags bekam er die ersten Gratulationen, u.a. vom Seniorenpark Mengede, wo er seit Mai dieses Jahres untergebracht ist, und vom inzwischen in den Ruhestand getretenen evangelischen Pfarrer Gerd Springer, mit dem er über die Gemeindearbeit verbunden war. 

Schönfisch war 25 Jahre Presbyter in der damaligen evangelischen St.-Remigius- Gemeinde. Während dieser Zeit hat er kaum einen sonntäglichen Gottesdienst verpasst und bei seinem Rundgang durch die Reihen stets für einen gut gefüllten Klingelbeutel gesorgt. Sein Gesang aus der Presbyterbank erschallte immer so laut, dass er selbst in der letzten Reihe der Kirche herauszuhören war.  

Am Nachmittag überbrachte der stellvertretende Bezirksbürgermeister Holger Martens im Namen des Oberbürgermeisters die Glückwünsche der Stadt Dortmund mit einer Gratulationsurkunde und einem stattlichen Blumenstrauß. Letzterer schien den Jubilar allerdings nicht besonders zu erfreuen: „Ich habe doch schon zu meinem 100sten gesagt, dass ich lieber Franzbranntwein zum Einreiben meiner schmerzenden Glieder hätte.“ Auf ganz taube Ohren scheint dieser Wunsch allerdings nicht gestoßen zu sein, denn Tochter Iris bestätigte, dass sich im Laufe der Zeit schon ein beachtlicher Vorrat dieses Wundermittels angesammelt habe. 

Der Rest des Samstagnachmittags gehörte der Familie, die sich bei Kaffee und Kuchen im festlich dekorierten kleinen Saal des Seniorenparks versammelt hatte. Mit Kindern, Enkeln, deren Partner und Partnerinnen und auch Urenkeln war der Raum gut gefüllt, wenn auch Familienmitglieder wegen des Wetters an der Küste festhingen. Trotz der altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen wirkte der Jubilar erstaunlich frisch, konnte die Gratulierenden richtig einordnen, griff auch schon mal in die Festtagsregie ein und wünschte allen einen guten Appetit bei Kaffee und Kuchen. Auch unterschwellige Kritik fehlte nicht: „Jetzt ist der Kaffee richtig heiß, die erste Tasse war viel zu kalt.“ Bei den zwischendurch eingehenden telefonischen Glückwünschen wusste er immer, wer dran war: „Ah, die Margret aus Düsseldorf.“ Nach jedem Telefongespräch bedankte er sich artig für den Anruf. Sein Statement auf die Frage „Wie geht’s?“ war stets: „Ich bin rundum zufrieden und mir geht es gut.“ Eine Beruhigung für die anwesenden Verwandten und sicher auch ein Lob für den Seniorenpark Mengede für Betreuung und Versorgung, denn auch für das Essen fand er lobende Worte. Hier ist er übrigens inzwischen der älteste Bewohner.

Dass der ehemalige Bahnbeamte Schönfisch so alt geworden ist, liegt seiner Meinung nach nicht an einer besonderen Lebensweise oder an geheimen Substanzen. Als gläubiger Christ hält er das für eine Fügung Gottes. Während des Krieges war er für den Einsatz in Stalingrad vorgesehen, doch dann wurde er überraschenderweise an einen anderen Einsatzort abkommandiert. Er überlebte den Krieg, blieb aber nicht unversehrt. Ein Granatsplitter durchbohrte seinen Körper in der Beckengegend, siebenmal wurde er operiert, das Bein blieb steif. Trotzdem konnte er als Bundesbahner seinen Job am früheren Mengeder Bahnhof voll ausfüllen. 

Häufig kontrollier­te er an der „Sperre“ des damals einzigen Bahnsteiges in Mengede die Fahrkarten der ankommenden und abfahrenden Reisenden. Wer Fahrgäste abholte oder wegbrachte, benötigte eine Bahnsteigkarte, die 10 Pfg. kostete. Trotz seiner Behinderung scheute er sich nicht, dem einen oder anderen „Prellbock“ nachzulaufen, der sich ohne Fahr- oder Bahnsteigkarte an ihm vorbeidrücken wollte. 

Inzwischen kann er als Pensionär auf mehr als 40 Jahre Ruhestand zurückblicken. Mit Blick in die Zukunft meint er: „Wie lange ich noch lebe, das bestimmt ein anderer.“

Diethelm Textoris

Frohes zum Fest von Joachim Ringelnatz

Kuttel Daddeldu feiert Weihnachten

Die Springburn hatte festgemacht
am Peterskai

Kuttel Daddeldu jumpte an Land,
durch den Freihafen und die stille heilige Nacht
und am Zollwächter vorbei.
Er schwenkte einen Bananensack in der Hand.

Damit wollte er dem Zollmann den Schädel spalten.
Wenn er es wagte, ihn anzuhalten.
Da flohen die zwei voreinander mit drohenden Reden.
Aber auf einmal trafen sich wieder beide im König von Schweden.

Daddeldus Braut liebte die Männer vom Meere,
denn sie stammte aus Bayern.
Und jetzt war sie bei einer Abortfrau in der Lehre,
und bei ihr wollte Kuttel Daddeldu Weihnachten feiern.

Im König von Schweden war Kuttel bekannt als Krakeeler,
deswegen begrüßte der Wirt ihn freundlich: „Hallo old sailer!“

Daddeldu liebte solch freie, herzhafte Reden,
deswegen beschenkte er gleich den König von Schweden.

Er schenkte ihm Feigen und sechs Stück Kolibri
und sagte: „Da nimm, du Affe!“
Daddeldu sagte nie „Sie“.

Er hatte auch Wanzen und eine Masse
chinesischer Tassen für seine Braut mitgebracht.

Aber nun sangen die Gäste „Stille Nacht, Heilige Nacht“.
Und da schenkte er jeden Gast eine Tasse
und behielt für die Braut nur noch drei,
aber als er sich später mal draufsetzte,
gingen auch diese versehentlich noch entzwei,
ohne dass sich Daddeldu selber verletzte.

Und ein Mädchen nannte ihn Trunkenbold
und schrie, er habe sie an die Beine geneckt.
Aber Daddeldu zahlte alles in englischen Pfund in Gold.
Und das Mädchen steckte ihm Christkonfekt
still in die Taschen und lächelte hold.
Und goss noch Genever zu dem Gilka mit Rum in den Sekt.

Daddeldu dachte an die wartende Braut.
Aber es hatte nicht sein gesollt,
denn nun sangen sie wieder so schön und so laut.
Und Daddeldu hatte die Wanzen noch nicht verzollt,
deshalb zahlte er alles in englischen Pfund in Gold.

Und das war alles wie Traum.
Plötzlich brannte der Weihnachtsbaum.
Plötzlich brannte das Sofa und die Tapete,
kam eine Marmorplatte geschwirrt,
rannte der große Spiegel gegen den kleinen Wirt.
Und die See ging hoch und der Wind wehte.

Daddeldu wankte mit einer blutigen Nase
(nicht mit seiner eigenen) hinaus auf die Straße.
Und eine höhnische Stimme hinter ihm schrie:
„Sie Daddel Sie!“
Und links und rechts schwirrten die Kolibri.
Die Weihnachtskerzen im Pavillon an der Mattentwiete erloschen.
Die alte Abortfrau begab sich zur Ruh.

Draußen stand Daddeldu
und suchte für alle Fälle nach einem Groschen.

Da trat aus der Tür seine Braut
und weinte laut:
Warum er so spät aus Honolulu käme?
Ob er sich gar nicht mehr schäme?
Und klappte die Tür wieder zu.
An der Tür stand: „Für Damen“.
Es dämmerte langsam. Die ersten Kunden kamen
und stolperten über den schlafenden Daddeldu.

Joachim Ringelnatz war ein deutscher Schriftsteller, Kabarettist und Maler, der die Kunstfigur Kuttel Daddeldu geschaffen hat. Er war bekannt zur Zeit der Weimarer Republik und zählte viele Schauspieler, Künstler und Schriftsteller zu seinen engen Freunden und Weggefährten. Sein teils skurril, expressionistisch, witzig und hintergründig geistreich geprägtes Werk hat auch noch heute viele Freunde und Bewunderer.
Sein Weihnachtsgedicht vom Seemann Kuttel Daddeldu steht im krassen Gegensatz zum üblichen beschaulichen Weihnachtsfest im trauten Familienkreis Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und komisch, ist aber gleichzeitig auch tragisch. Der Seemann Kuttel Daddeldu bringt Geschenke mit und hat traditionelle Erwartungen an das Weihnachtsfest. Andererseits sprengen sein übermäßiger Alkoholkonsum und sein rüpelhaftes Verhalten die gesellschaftlichen Normen. So endet der Abend in Chaos. Trotz aller Feierlichkeiten und Geschenke bleibt Kuttel Daddeldu letztlich allein, als sich auch noch seine Freundin enttäuscht von ihm abwendet. Er schläft in der Weihnachtsnacht einsam auf der Straße. Somit gibt das Gedicht auch einen tragischen Einblick in das Leben eines Menschen, der trotz seiner Bemühungen am Ende isoliert ist.  

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