Man schrieb das Jahr 1945. Nach dem verlorenen Krieg und der Befreiung durch die Alliierten stand Deutschland vor einem Trümmerfeld. Aufgeteilt in vier Besatzungszonen zog es vor allem die An-wohner der von der UDSSR besetzten Ostgebiete in den Westen. 12 – 14 Millionen mussten ihre angestammte Heimat verlassen und suchten ein neues Zuhause.
Die Zerstörung war riesengroß, speziell in dem von Industrie geprägten Ruhrgebiet. In Dortmund waren rund 70% des Wohnraumes zerstört, so dass die Wohnungsnot unüberschaubar war. Das Einreisen nach Dortmund war nur mit einer gesonderten Genehmigung möglich und es mussten in Dortmund lebende „Bürgen“ benannt werden.
Das Deutsche Reich existierte nicht mehr, die höchste Regierungsgewalt übte der Alliierte Kontrollrat aus. So war es nicht verwunderlich, dass sich viele private Initiativen bemühten, die Wohnungsnot zu lindern.
Bereits im Spätherbst 1945 wurden bei uns in Mengede die ersten Vorgespräche zur Bildung eines „Siedlungswerkes“ geführt. Im Jahre 1946 gründete sich eine Siedlergemeinschaft, aus der am 22. April 1949 die Genossenschaft„Christliche Familie“ hervorging. Das charakteristischste Merkmal einer Siedlerstelle ist es, die Bauten vollständig durch Selbsthilfe zu errichten. Das setzt wiederum voraus, dass Handwerker aus allen Sparten des Bauwesens unter den Siedlern sein müssen.
Nachdem vom Grafen Droste-zu-Vischering ein passendes, ca. 9 Morgen großes Baugrundstück freigegeben wurde, erfolgte am 5.Juni 1949 der erste Spatenstich der Droste-zu-Vischering-Siedlung. Nach den langwierigen und schwierigen Verhandlungen in den Jahren 1946 bis 1949 ging es jetzt „zügig“ voran. Der Termin der feierlichen Grundsteinlegung wurde für den 7. August 1949 festgelegt, die der Heimatspiegel wie folgt ankündigte:
„Die Feier beginnt um 7:30 Uhr mit einem Fest-Hochamt in der St. Remigiuskirche und einem Fest-gottesdienst in der ev. St. Remigius-Hauptkirche. Um 11:00 Uhr ist die Feier der Grundsteinlegung, bei der seine Exzellenz der Hochwürdige Herr Erzbischof von Paderborn, Dr. Lorenz Jäger,und der Graf die Festansprachen halten werden. Bei der Feier wirkt die Knappen- Kapelle der Zeche A. v. Hansemann und der Chor St. Remigius mit.“
Noch im selben Jahr konnten die ersten Richtfeste gefeiert werden. Trotz der immer noch vorhandenen Versorgungslücken trafen sich die Siedler im Saal der „Gaststätte Hubbert“. Es gab Kuchen für die Frauen und Erbsensuppe für die Männer. Auch mit Getränken wurde nicht gegeizt, so dass am frühen Morgen alle „auf dem Trockenen“ saßen.
Da es ständig an Geld und Baumaterialien mangelte, musste fortwährend improvisiert werden.Viele Dinge wurden per Hand angefertigt. Trotz aller Schwierigkeiten und Probleme war das erste Siedlerhaus am 1.Mai 1950 bezugsfertig.Nach Fertigstellung der restlichen 18 Häuser konnten bis Februar 1952 alle Siedlerfamilien ihre eigenen vier Wände beziehen.
Die nächste große Festivität fand dann im Sommer 1953 statt.
Der Graf hatte seinerzeit die Freigabe des Baulandes unter der Auflage erteilt, dass am Eingang der Siedlung ein Herrgottswinkel errichtet wird. Dieses Kreuz des Kölner Bildhauers Herbert Kreuzner, dass auch heute noch die Einfahrt unserer Siedlung ziert, wurde feierlich eingesegnet. Die Weihe am 7.Juni 1953 vollzog der Probst Droste-zu-Vischering, ein Bruder des Grafen.
Da es während der Bauphase zu großen finanziellen Engpässen bei dem Bauträger „Christliche Familie“ kam, verzögerte sich die Eigentumsumschreibung immer wieder. Erst am 28.November 1957 konnten die Siedler als Eigentümer eingetragen werden. Das war natürlich wieder ein Anlass für eine große Feier und im Saal des „Hauses Hubbert“ ging es hoch her.
In den folgenden Jahren machte das deutsche Wirtschaftswunder auch vor der Siedlung nicht halt. Es wurden Heizungen installiert und fleißig um- und ausgebaut. Vieles geschah zur Verbesserung des Wohnkomforts oder zur Anpassung des Wohnraumbedarfes.
Umgeben von „Kohle, Stahl und Bier“ entwickelte sich die Droste-zu-Vischering-Siedlung zu einer grünen Oase im grauen Herzen des Ruhrgebietes. Sie wurde ein Ort der Beschaulichkeit, aber auch ein Paradies mit Abenteuerspielplatz für den Nachwuchs.
Zu den ursprünglichen 19 Objekten kamen 1968 und 2016 noch zwei weitere Siedlungshäuser hinzu. Außerdem wurde 1964 einDreierreihenhaus errichtet, das 1993 auf vier Wohneinheitenerweitert wurde.
Die anfänglichstrengen Auflagen der Siedlergenossenschaft in Bezug auf Kleintierhaltung, Anbau bestimmter Obstsorten und Gestaltung des Gartenlandes verloren im Laufe der Zeit ihre Gültigkeit. So konnten die Siedler ihre Gartenflächen freigestalten. Rasenflächen, Gartenhäuser sowie Kletter- und Spielgerüste ersetzten die nicht mehr benötigten Nutzgärten.
Ein weiteres Indiz der „Neuen Zeiten“ war die geänderte Mobilität. Während in den ersten Jahren der Kartoffelhändler seine Ware noch mit dem Pferdewagen anpries, waren in der Sackgasse neben Fahrrädern maximal Motorräderzu sehen. Doch mit der Zeit hielt auch des Deutschen liebstes Kind, das Auto, Einzug in die ruhige Straße.Mittlerweile gehört zu den 25 Siedlerstellen jeweils mindestens ein PKW, womit Parkplätze rar geworden sind.
Auch die Eigentumsverhältnisse haben sich in den fast sieben Jahrzehnten immer wieder geändert. In den Häusern, die im Familienbesitz verblieben sind, lebt mittlerweile die vierte bzw. fünfte Generation, zum Teil mit Eltern und Großeltern. Zehn Objekte wurden an Neusiedler veräußert, die ohne Probleme in die Gemeinschaft aufgenommen wurden.
Auch heute wird in der Siedlung noch gerne und viel gefeiert. Straßen-, Garten-, Sommer-, Kinderfeste, Adventfeiern mit Nikolaus und andere Festivitäten stehen jährlich auf dem Ver-anstaltungskalender. Dazu kommen noch Ausflüge und Radtouren.
Mit dem Wandel des Ruhrgebietes hat sich auch das Umfeld der Siedlung geändert. Durch die Ze-chenschließungen wurde die direkt an der Siedlung vorbeiführende Trasse der Werksbahn Zeche Achenbach nicht mehr benötigt und zurückgebaut. Das Kraftwerk Knepper wurde 2014 vom Netz genommen, andere Industriewerke verkleinerten sich oder wurden geschlossen.
Die Renaturierung der Emscher mit dem Regenrückhaltebecken in direkter Nachbarschaft hat das gesamte Umfeld noch grüner gemacht.
Die Lebensqualität hat sich laufend verbessert, es macht Spaß in der Siedlung zu leben.