„Wer sich nach Heimat sehnt, ist nicht von gestern“
Das Thema „Heimat“ ist wieder salonfähig, nachdem es lange als spießig verpönt war. „Wer sich nach Heimat sehnt, ist nicht von gestern“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Beim ersten NRW-Heimatkongress vor acht Tagen in Münster erklärte Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU), sie wolle die ehrenamtliche Arbeit der „Heimatgestalter“ stärker wertschätzen und finanziell fördern. Bis 2022 stellt sie 113 Millionen Euro für Heimat-Projekte bereit. In NRW vertreten der Westfälische Heimatbund, der Lippische Heimatbund und der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Naturschutz rund 160.000 Mitglieder. Was machen die eigentlich? Eine Annäherung in acht Punkten. VON ROLF LANGENHUISEN .Überall in NRW sind Heimatvereine aktiv. Wer und was steckt eigentlich dahinter?
1 MITGLIEDER
„Das“ typische Mitglied eines Heimatvereins existiert nicht. Zwar gibt es die pensionierten Lehrer, die oft als Klischee herhalten. Aber es gibt auch Handwerker und Angestellte. Mehr Männer als Frauen. Der Altersdurchschnitt liegt bei „Ü 65″. Dabei ist der Typ „Lokalpatriot“, der auch im Sportklub, bei den Schützen oder im Kirchenchor mitmacht, häufig vertreten. „Derzeit führen wir eine Befragung bei unseren Vereinen durch, um ein besseres Bild über die Mitgliederstruktur zu bekommen“, sagt Dr. Silke Eilers (42), Geschäftsführerin des Westfälischen Heimatbundes in Münster.
2 SELBSTVERSTÄNDNIS
Heimatvereine beschäftigen sich mit ihrem Lebensumfeld, begreifen sich als unabhängig und äußern sich nicht allgemeinpolitisch. Wenn sie sich für den Erhalt der Kulturlandschaft oder für Umweltschutz stark machen, sind das natürlich gesellschaftspolitische Anliegen. Im Kreis Höxter votierten kürzlich die Heimatvereine dafür, in bestimmten Bereichen keine Windkraftanlagen mehr zu errichten. Auch mischen sich Heimatfreunde in die Kommunalpolitik ein, wenn es um Fragen der Stadtentwicklung oder der lokalen Kultur geht.
3 AKTIVITÄTEN
Naturschutz, Mundart, Denkmalpflege oder Familienforschung jeder Verein setzt eigene Schwerpunkte. Zu den Aktionsformen zählen Vorträge, Exkursionen, Stammtische und Veröffentlichungen. Oft ist das Interesse an Geschichte, etwa Industriegeschichte, besonders ausgeprägt. In Dortmund zum Beispiel betreibt der „Förderverein bergbauhistorischer Stätten Ruhrrevier“ das Besucherbergwerk Graf Wittekind. Andere Vereine wandern oder pflegen Bräuche wie Osterfeuer und Erntedank. In den letzten Jahren haben sich Bürgergruppen formiert, die historische Bauwerke Kirche, Feuerwehrgerätehaus, Industriehallen erhalten und neu nutzen wollen. Schließlich prägen die Heimatvereine einen Teil der Museumslandschaft. In Westfalen-Lippe findet man rund 690 Museen, Gedenkstätten und ortsgeschichtliche Sammlungen. 450 davon werden ehrenamtlich und privat getragen.
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Sind Heimatvereine altmodisch? Es gibt solche und solche. Heimatpfleger sind konservativ im wahrsten Wortsinn, weil sie etwas bewahren wollen: nämlich das, was wichtig ist für Heimat, für unsere Identität, für den sozialen Zusammenhalt. Aber die Vereine stecken nicht in der Vergangenheit fest. Ich kenne keinen Heimatverein, der nur in den Rückspiegel schaut“, betonte
Mathias Lob, Vorsitzender des Westfälischen Heimatbundes. Heimat sei veränderbar und müsse weiterentwickelt werden.
5 NEUE WEGE
Zukunftsorientiert heißt auch offen für neue Technik. Der Heimatverein Dortmund-Mengede etwa hat an denkmalgeschützten Gebäuden QR-Codes anbringen lassen: Infos über Amtshaus, Friedhof oder Kapelle kommen per Tastendruck aufs Smartphone. Andere Vereine nehmen neue Problemlagen in Angriff – die Bereiche „Migration“ und „Integration“ zum Beispiel. Der Heimatverein in Achenbach, das ist ein Stadtteil von Siegen, gründete eine gemeinnützige Qualifizierungs- und Weiterbildungsgesellschaft, die Jobs für Bundesfreiwilligendienstler anbieten kann. Mehr als 40 Flüchtlinge haben in Achenbach bereits als „Bufdis“ gearbeitet, haben eine ehemalige Kirche umgebaut oder im Krankenhaus geholfen. Ein junger Iraner schaffte so seinen Berufseinstieg.
6 FLÜCHTLING IM VORSTAND
Asbeck ist ein 1300 Seelen Dorf im Kreis Borken. Dort gibt es ein Naturdenkmal („dicke Linde“), ein 800 Jahre altes Gebäude aus der Romantik („Dormitorium“) und 18 Vereine. Der Heimatverein bemüht sich intensiv, Zugezogene zu integrieren: Flüchtlinge, aber auch Pflegekräfte aus Polen und Schlachthelfer aus Rumänien. „Jeder, der zum Deutschkurs kommt, kann unsere Hilfe in Anspruch nehmen“, sagt Rebecca Brüggemann, Geschäftsführerin des Vereins. Die Heimatfreunde erteilen Deutschunterricht, vermitteln Flüchtlinge in Arbeit und sorgen dafür, dass alle gute Fahrräder bekommen, um sich selbständig bewegen zu können.
„In Asbeck wurden die Arme für mich geöffnet: Du kannst eine neue Heimat haben!“, schwärmt Thierno Diallo (21), der 2014 als Flüchtling aus Guinea in die Gemeinde Legden kam. Heute spricht er Deutsch, geht zur Schule und gehört seit 2017 dem Vorstand des Heimatvereins an. Derzeit büffelt der Afrikaner münsterländische Geschichte: „Ich bin dabei zu lernen, und ich freue mich darauf, Führungen durch unser Stiftsmuseum machen zu können.“ Die anderen Flüchtlinge, sagt Diallo, sähen in ihm ein Vorbild.
7 HEIMATKONZEPT
Der Westfälische Heimatbund tritt für einen „weltoffenen, Gemeinschaft stiftenden und zukunftsgewandten“ Heimatbegriff ein. „Ich sehe Heimat offen für die, die zu uns kommen. Denn sie sind natürlich auch eine Bereicherung“, erklärt Geschäftsführerin Eilers. Heimat sei inklusiv, „ein Angebot für andere, auch für Flüchtlinge.“ Damit positioniert sich der Heimatbund bewusst gegen Populisten und Rechtsextreme, die ethnische Minderheiten ausgrenzen und Heimat als „Wir gegen die“ konstruieren. Ist dieses multikulturelle Heimatkonzept an der Basis der Vereine Konsens? „Ja, das wird so gelebt“, ist sich Eilers sicher: „Es gibt immer Einzelne, die persönlich anderer Auffassung sind. Und es wird unter 130.000 Mitgliedern auch AfD-Wähler geben. Aber die Heimatvereine sehen bei sich eine soziale Verantwortung, als Brückenbauer zu fungieren und Willkommenskultur zu schaffen.“
8 NACHWUCHSSORGEN
Heutzutage mag sich niemand langfristig an einen Verein binden. „Deshalb müssen wir stärker in Projektarbeit denken“, heißt es: Neulinge sollen in die Vereinsarbeit reinschnuppern, sich in eine konkrete Aufgabe einbringen. Beispiel: Der Heimatverein Ostenland aus dem Kreis Paderborn hat gezielt junge Leute angesprochen mit der Bitte, sein Bildarchiv mit alten Fotos zu scannen. Es entstand ein kleines Team, aus dem der Verein neue Mitglieder und Nachwuchs für die Vorstandsarbeit gewinnen konnte.