Dortmund im 1. Weltkrieg

Zur Eröffnung des Stammtisches begrüßte unser Ehrenvorsitzender Paul Gausepohl die Anwesenden. Bedingt durch die Krankheit seiner Frau Ingrid, war er in den vergangenen Monaten kaum in Mengede und konnte auch nicht an der Jahreshauptversammlung teilnehmen. Auf dieser Versammlung stand er, wie vor einem Jahr bereits angekündigt, nicht mehr für das Amt des               1. Vorsitzenden zu Verfügung und hat den Stab an Hans Ulrich Peuser weiter gegeben.

Er bedankte sich für den „Ehrenvorsitz“ und versprach, auch künftig seinem Nachfolger und dem gesamten Vorstand mit „Rat & Tat“ zur Seite zu stehen.

Paul Gausepohl erinnerte an die Zeit des Neuanfangs mit dem Heimatverein 2002 und an seine erste Amtsübernahme 2004. Er erinnerte an die Anmietung der ersten Heimatstube 2005 und (mit Stolz) an die Renovierung und Fertigstellung unseres Heimathauses am Widum.

Aber auch die vielen Aktivitäten, die vom Heimatverein gestaltet oder mitgetragen werden, können sich sehen lassen.  So fand in diesem Jahr das Sommerfest rund um das Heimathaus einen großen Anklang und auch die Jahresradtour nach Goch an den Niederrhein fand mit 26 Teilnehmern eine positive Resonanz.

Das Schützenfest des Mengeder Bürgerschützenvereins hat gerade ebenfalls erfolgreich stattgefunden (ein herzliches Glück Auf an das neue Königspaar!) und das Michaelisfest des Gewerbevereins Mengede steht vor der Tür.

Am Tag der deutschen Einheit startet dann der 11. Schnadegang, in diesem Jahr unter der bewährten Leitung von Franz-Heinrich Veuhoff.  Von der Mengeder Heide geht es den Groppenbach entlang zum Regenrückhaltebecken der Emscher.  Die genauen Eckdaten werden noch bekannt gegeben.

Einen besonderen Dank sprach Paul auch der Redaktion der „Heimatblätter“ aus.  Diese sollen künftig   4 – 6 Mal pro Jahr erscheinen.  Aufgenommen werden dann auch Berichte aus unserem Onlineauftritt,  damit auch unsere Mitglieder ohne Internetanschluss diese Informationen erhalten.

Wie man sieht, bei uns ist immer etwas los.


Mit einigen Anmerkungen zu unserem heutigen Thema, dem 1. Weltkrieg, begrüßte Paul Gausepohl den Referenten, Herrn Dr. Stefan Mühlhofer,  Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund und stv. Leiter des Dortmunder Stadtarchivs.

Herr Dr. Mühlhofer begann mit einigen allgemeinen Bemerkungen zum Thema 1. Weltkrieg. Trotz der 10 Millionen Toten (davon 4,5  Millionen Deutsche) war der 1. Weltkrieg in Deutschland von der Geschichte des 2. Weltkrieges überlagert und so gut wie vergessen. Auch in den Medien gab es kaum Veröffentlichungen. Das änderte sich vor ungefähr einem Jahr, als der 100. Jahrestag des Kriegsbeginns  thematisiert wurde. Mittlerweile gibt es kaum einen Tag, an dem das Thema nicht  im Fernsehen, im Radio, in der Presse und auch in der Literatur behandelt wird.

Das gesamte Thema ist so komplex, das wir es nicht an einem Abend abhandeln können.  Aus diesem Grunde beschränkt sich Herr Dr. Mühlhofer auf drei spezielle Punkte:

  1. Das August- Erlebnis in Dortmund
  2. Wie haben die „Züge“ von Soldaten die durch Dortmund kamen Einfluss auf die Stadt genommen
    ( Kriegsliebesdienste; Ernährungslage; Kriegsfinanzierung)
  3. Zwangsarbeit

Das August Erlebnis

29.6. 1914           Die Dortmunder Arbeiterzeitung berichtet über die Ermordung des Kronprinzen in  Sarajewo als   

                          Nebenthema. Der Streit über die Eingemeindung von Barop scheint wichtiger.

30.6. 1914           Die Ermordung hat keinen Einfluss auf die „Drei- Bund- Politik“.

                          Sie ist ein Tag der Katastrophe für Österreich.

06.7. 1914           Die Angelegenheit ist als „Nebensächlichkeit“ auf die hinteren Seiten gerückt.

24.7. 1914           In der Presse heißt es: Es handelt sich nur um zwei Gegner, die schnell „erledigt“ werden können,   

                          notfalls an der Seite des Bundesgenossen. Die Meinung herrscht vor, dass der Konflikt wie 1912/1913

                          auf den Balkan begrenzt werden kann.

27.7. 1914           Zum ersten Mal schreibt die Presse von dem Weltenbrand, der in Sicht ist.

                          Wir befinden uns an der Schwelle zum Weltkrieg.

Diese Entwicklung führte im gesamten  Kaiserreich zu Massenveranstaltungen gegen einen Krieg. In  Dortmund fand so eine Demonstration erstmals am 31.7. 1914 statt. Aber auch nach Kriegsbeginn überlagerten  andere Themen die Kriegsführung.

Die großen Aufläufe mit Extrablättern und -berichten, die die Soldaten jubelnd an die Front schickten,  fanden im ganzen Reich, nicht aber in Dortmund statt.  Es gab keine Euphorie. Man sprach von der Ruhe der Westfalen. Hier überwogen andere Sorgen wie z.B. der Ausverkauf von Lebensmitteln,  die Angst vor Wucherpreisen und dem Kaufkraftverlust des Geldes.   So wurden zum Teil die Sparkassen gestürmt, bis Bürgermeister und Innenminister endlich beruhigend eingriffen.

In der Dortmunder Presse veröffentlichten „Heimatdichter“  Texte zum Krieg und es gab auch patriotische Festspiele. Nach dem 1.8.1914 schwenkte auch die Dortmunder Arbeiterzeitung in ihrer Berichtserstattung auf „Kaiser und Vaterland“ um. So berichtete sie am 2.10.1914 von großen Erfolgen auf den Schlachtfeldern.

Kriegsliebesdienste

Unter Kriegsliebesdiensten verstand man die ehrenamtliche und freiwillige Versorgung und Betreuung der Soldaten, die per Reichsbahn nach und durch Dortmund kamen. Federführend  waren hier das Deutsche Rote Kreuz und die Caritas unter Leitung von Frau Eickhoff tätig, der Frau des damaligen  Dortmunder Bürgermeisters. Da  Dortmund ein wichtiger Knotenpunkt war, hatte man am Hauptbahnhof und  am Südbahnhof je eine Pflegestation eingerichtet. Die freiwilligen Helfer arbeiteten im Schichtbetrieb.  Die Versorgung war „gut, reichlich und natürlich unentgeltlich“.  Zu Weihnachten und besonders zu Kaisers Geburtstag (27.1.) gab es Extrarationen. Die Pflegestation wurde geschmückt und es gab Erinnerungszigarren, Tabak und in Dortmund natürlich auch Bier.

Im Laufe der Jahre wurde die Versorgungslage immer kritischer. Am 16.2. 1916 wurde der Nachtbetrieb eingestellt und Essen nur noch am Mittag verteilt. Zu den Pflegestationen kamen jetzt auch noch Sanitätsstationen hinzu. Diese wurden nicht nur in den Bahnhöfen, sondern auch privat eingerichtet. So diente das gesamte Obergeschoß im Hause des Bürgermeisters Eickhoff als Lazarett.

Mit den in Dortmund weilenden Soldaten wurden auch Ausflüge durchgeführt. Ein beliebtes Ziel war das Schiffshebewerk in Henrichenburg, das per Schiff vom Dortmunder Hafen angefahren wurde.

Für die Kinder gefallener Soldaten wurden zentrale Weihnachtsfeiern (z.B. im Fredenbaumpark) durchgeführt. Geschenke wurden in den „Sammelstellen Liebesgaben“ unter der Leitung von Frau Eickhoff gesammelt. Aber auch Geschenke aus „Altmaterialien“, die vom Roten Kreuz genäht wurden, fanden ihre Abnehmer.

Kriegsfinanzierung

Zur Kriegsfinanzierung wurden die unterschiedlichsten Aktivitäten herangezogen. So konnte man in den Sammelstellen für Liebesgarten auch Kriegsanleihen zeichnen. Mancher „große Patriot“ hat so sein ganzes Vermögen „in den Sand gesetzt“.

Eine beliebte Einnahmequelle war auch der Verkauf von Kriegsnägeln. So wurden in  eine Holzfigur des Paul von Hindenburg am 16.7. 1915 im Tannenbergdenkmal  Kriegsnägel, die vorher gekauft wurden, eingeschlagen. Je nach Farbe gab es unterschiedliche Preise. Der goldene Nagel kostete 100 Reichsmark.

In Dortmund gab es einen „Holzreinoldus“, mit dem ebenso verfahren wurde. Auf diese Weise wurden 100.000 RM eingenommen.

Bei der Aushebung von „Schauschützengräben“ am Sedantag (2.9. 1915) wurden in vier Monaten 71.000 Eintrittskarten verkauft. Auch diese Einnahmen flossen in die Kriegskasse.

Ernährungslage

Die Ernährungslage in Dortmund entwickelte sich (analog zum Kaiserreich)  im Laufe des 1. Weltkrieges dramatisch.

Im Mai 1916 wurde ein Kriegsernährungsamt gegründet, das direkt dem Reichskanzler unterstand. Es war für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung zuständig.  Es ordnete drastische Maßnahmen an, die ihm den Vorwurf des „Staatssozialismus“ eintrugen. So wurden die Rationen  Schwer- und Schwerstarbeiter und eine direkte Belieferung der Rüstungsbetriebe mit Lebensmitteln angeordnet,  weil man den Arbeitern das Schlangestehen ersparen wollte. Außerdem wurde die Verfütterung von Kartoffeln verboten. Die Behörden kämpften gegen das Verheimlichen von Vorräten bei den Produzenten an. Trotz dieser Anstrengungen scheiterte das Kriegsernährungsamt mit dem Versuch, eine Hungersnot zu verhindern.

In Dortmund mit seiner Schwerindustrie (Kohle und Stahl) war die Reibungsfläche besonders groß. Am 19.10. 1916 wurde eine Mängelliste veröffentlicht. Die Kalorienzuteilung  lag weit unter dem Limit. Kartoffeln, Mehl und Fett fehlten völlig.  Der Winter 1916 / 1917 wurde der sogenannte Steckrübenwinter. Aufgrund  des fast völligen Fehlens von Fleisch- und Wurstwaren  stieg der Kartoffelverbrauch  Anfang des Jahres 1916 auf das 2 ½-fache  des Vorkriegsniveaus an. Ein verregneter Herbst 1916 verursachte eine Kartoffelfäule, die die Ernte etwa auf die Hälfte des Vorjahres reduzierte. Die Steckrübe wurde für breite Kreise der Bevölkerung wichtigstes Nahrungsmittel. Man ernährte sich von Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade und Steckrübenbrot. Die Steckrübe konnte die Kartoffel aber nicht ersetzen.

Das führte dazu, dass die Bergleute revoltierten. „ Das ist kein Essen sondern Schweinefressen!! war das geflügelte Wort.  Dazu kamen die immens hohen Preissteigerungen.  Während sich die Löhne & Gehälter bis 1917 um rund ca. 76% gesteigert hatten, lag die allgemeine Preissteigerung bei 300% – 400 %.

Im Gegensatz dazu standen auch die Hotels und Restaurants am Westenhellweg, die „ersten Häuser am Platze“. Während die Arbeiterschaft hungerte, war hier immer noch fast alles zu haben.

Zwangsarbeit

Bei Kriegsbeginn hieß es „ Wir sind Weihnachten wieder zu Hause“.  Doch nach der ersten Niederlage im November 1914 mussten immer mehr Männer an die Front, die nun in der Produktion fehlten. Durch die Anforderungen der  Rüstungsindustrie nahm die Anzahl der notwendigen Arbeitskräfte noch zu, so dass immer mehr Frauen diese Arbeitsplätze einnahmen. Um fehlende Ressourcen auszugleichen, bediente sich der Staat der Kriegsgefangenen, die zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. In Dortmund lagen die Schwerpunkte dieser Einsätze im Bergbau und in der städtischen Verwaltung , primär der Müllabfuhr und den Gartenbaubetrieben.

Im Ruhr Bergbau waren das in der Spitze bis zu 170.000 Gefangene, das entsprach rund 40% der Stammbelegschaft. Untergebracht wurden die Zwangsarbeiter auf dem Zechengelände. Der Lohn wurde in „Püttgeld“ ausgezahlt und konnte nur vor Ort umgesetzt werden. Die Zechen Westfalia  und Adolf von Hansemann  (bei uns in Mengede) forderten einen Großteil dieser Arbeitskräfte an.  Die Zuteilung erfolgte nach Prüfung durch die hiesige Polizei. Waren Unterkunft und Verpflegung gewährleistet , wurde eine Bescheinigung ausgestellt und die Zuteilung konnte erfolgen. Ende 1916 betrug die Kalorienzuteilung für Zwangsarbeiter 2.000 Kalorien pro Kopf und Woche. Die waren für den Bergbau und die Müllabfuhr in keinster Weise ausreichend. Waren die Kräfte erschöpft, wurden neue Zwangsarbeiter angefordert.

Der Höchstwert an Zwangsarbeitern wurde mit 73.000 (= 70%) im August 1918 erreicht. Die Anzahl reduzierte sich im November auf 16.000 und im Dezember auf 1.500.

Nachsatz

Wegen der schlechten Gesamtlage kam es in 1918 im ganzen Reich zu Streiks.

Am 28. Und 29.1. 1918 legten in Dortmund die Bergarbeiter ihre Arbeit nieder. Sie forderten mehr Lebensmittel, Friedensverhandlungen, freie Wahlen und eine bessere Versorgung.

Grund war ausschließlich die persönliche Situation. Auf keinen Fall war das eine politische Revolution. Trotzdem wurden sie zur Arbeit  gezwungen.

Am 26.4. erfolgte ein Aufruf der SPD und am 28.4. 1918 forderten 8.000 ein freies und geheimes Wahlrecht.

Am 8.11. 1918 hissten Marinesoldaten in Kiel das rote Banner.

Am 9.11. wurde die Abdankung Kaiser Wilhelms II verkündet und  Karl Liebknecht und Otto Scheidemann riefen  in Berlin die Deutsche Republik aus.

Am 11.11. 1918 wurde in Paris der Waffenstillstand unterzeichnet, der 1. Weltkrieg war beendet.