Nachdem Christus der Herr auf seinem Wege durch das Emschertal den Emschermann aus einem Erdklumpen erschaffen hatte, richtete sich dieser naturwüchsige Mensch in einer einfachen Blockhütte ein und lebte dort bescheiden und von den Gaben der Natur.
An einem schwülen Sommernachmittag konnte der Emschermann in seiner Hütte nicht mehr aushalten und es zog ihn hinaus an die Emscher, Dahin, wo die Heide den Wald streift und er legte sich in den wohltuenden Schatten einer mächtigen Eiche ins blühende Heidekraut. Sinnend lag er auf dem Rücken und schaute hinauf ins Himmelblau. Bald bemerkte er in Richtung Sonnenuntergang ein dunkles Wölkchen aufsteigen, dann dunkle, weißgeränderte Wolken. Immer näher zogen sie zu ihm heran.
Horch, was ist das? Rollt und grollt das nicht da oben in weiter Ferne? Und fuhr nicht in rasender Schnelligkeit ein Lichtschein am Himmel im Westen dahin? Und näher heran zum Emscherbruch kams, zuerst wie sanftes, lindes Sausen, dann wie mächtiges, gewaltiges Brausen. Der Emschermann schnellte empor von seiner Lagerstätte und sah und hörte nach dem Seltsamen dort oben. Immer greller wurde das plötzlich aufspringende Leuchten, immer heftiger das Rollen und Grollen. Die Bäume des Waldes stimmten schwer ächzend in das große Sausen und Rauschen und Brausen mit ein. Fröhlicher Vogelsang war verstummt. Dafür hörte man wohl ängstliches Zwitschern oder angstvolles Kreischen und Krächzen der Waldvögel. Es schien, als ob der ganze Emscherwald zerbrochen, zerschmettert und vernichtet werden sollte. Der Emschermann, der so Gewaltiges noch nie gesehen und gehört hatte, verwunderte sich schier und stand in tiefer Ergriffenheit ob 1 dieses Naturgeschehens da, den Blick nach oben gerichtet.
Bald sah er etwas herabsausen. Es war der Sturmgott auf gewaltigem Ross. Mit seinen Hufen schlug es Feuerstrahlen, die das Auge fast blendeten, aus den schwarzen Wolken, und Feuer schnob es aus seinen Nüstern. Und des Rosses Hufe stampften auf, dass die Luft dröhnte und der Wald wie vor Verzweiflung ächzte. Und der dahineilende Leib des Rosses spaltete geräuschvoll die Luft. Ein angeschlagener Funke fiel hernieder auf die große Eiche, neben welcher der Emschermann stand, und traf ihren Wipfel und spaltete sie wie mit einem einzigen furchtbaren Axtschlag, so dass die beiden Hälften krachend auf den Boden schmetterten. Ernst und freudig zugleich ward der Emschermann gestimmt, und heiliges Erschauern und inneres Erbeben weiteten seine Brust. Da stand er, die Nerven gespannt und die Muskeln gestrafft, hob wie verzückt beide Hände hoch empor zum Sturmgott und bat inbrünstig: „Schenke mir doch auch ein Pferd wie das deinige, gewaltiger Sturmgott, das mit so mächtigem Rauschen und Poltern durch die Lüfte fährt, das Funken sprüht und dessen Atem so erbraust … Das wäre für mich eine Lust, o Sturmgott!“
Der Sturmgott aber erwiderte, „Was du erbittest, möchte nicht gut sein für dich. Denn bedenke: ein solches Pferd vermöchtest du nicht zu bändigen und zu regieren. Sahst du nicht, wie ein einziger Funke, geschlagen von des Rosses Huf, die Rieseneiche fällte, unter der du vorhin lagst? Hätte der Strahl dich getroffen, dann wärest du tot, du lägest jetzt entseelt am Boden.“
Der Emschermann aber wusste nichts von einer Seele, auch kannte er den Tod nicht. „Aber“, fügte da der Sturmgott hinzu, „ein Pferd will ich für dich erschaffen, das für dich angemessen ist.“ „0 mächtiger Sturmgott“, sprach da der Emschermann, „du weißt wohl besser, was mir frommt, und so bitte ich dich: gib mit ein solches Pferd!“ „Dein Wunsch und Wille geschehe“, sprach da der Sturmgott. Und alsbald setzte er in den Emscherbruch das Wildpferd. An diesem konnte der Emschermann seine Kraft und seinen Mut, seine Behändigkeit und Geschicklichkeit erproben. Und der Emschermann stand wieder gestrafft da, legte seine Hände auf seine Brust, hob sein Angesicht abermals zum Sturmgott empor und sprach mit bewegter Stimme: „Ich danke dir für das köstliche Geschenk.“ Der Sturmgott sprach: „Höre, was ich dir verkünde: „Wenn Hunderte und Aberhunderte von Menschengeschlechtern dahingegangen sein werden, dann wird ein neues Geschlecht Blitze erzeugen und Blitze auffangen, es wird ein Pferd erschaffen, das schneller als ein Wildpferd ist, ja schneller als ein Vogel die Luft durcheilt.“ Mit solcher Rede wusste der Emschermann nichts anzufangen; er verwunderte sich nur ehrfürchtig.
Sein letztes Wort aber hat inzwischen der Sturmgott eingelöst. Die modernen Erfindungen in der Elektrik und Elektronik; die Entwicklungen in der Flugtechnik haben Fluggeräte wie z. B. Raketen geschaffen, die schneller als ein Vogel die Luft durcheilen.

Quellen:
Hubert Kurowski, Die Emscher, Essen 1993, S. 134 f
Gerd Niewerth / Jochen Stemplewski, Emschervertellkes, Essen 2004, S. 95 f. und mündliche Überlieferungen von Dr. Drees (+)